Zur Karriere von Sandra Velásquez
Welche waren die wesentlichsten Stationen Ihrer Karriere?
Nach dem Tod meines Vaters kam ich mit zehn Jahren nach Mexiko, wo ich später mittels eines Leistungsstipendiums studieren konnte. Ich engagierte mich in der Studentenverbindung AIESE (Association Internationale des Etudiants en Sciences Economiques), weil ich erkannt hatte, wie wichtig es ist, über ein Netzwerk zu verfügen. 1988 kam ich nach Wien und meldete mich im Österreichischen Lateinamerika-Institut (LAI), weil ich hier meine letzten Prüfungen absolvieren und anschließend eigentlich wieder zurückgehen wollte. Meine Diplomarbeit schrieb ich über die Unterschiede im Management und im Führungsstil zwischen Mexiko und Österreich. Ich absolvierte meine Prüfungen noch mit Wörterbuch, doch lebte mich rasch ein. Nach Abschluß des Studiums wurde ich bei Procter & Gamble aufgenommen, wo ich eine harte, aber gute Schule durchmachte. Da ich kein Globalisierungsfan bin, wechselte ich zu einem Schweizer Konzern, wo ich mich mit Marketing und Qualitätssicherung beschäftigte. Während der ersten Kinderpause fand ich zu meiner alten Liebe, der klinischen Psychologie, zurück. In Mexiko hatte ich auf diesem Gebiet ja schon viel Erfahrung gesammelt. Ich betrieb nun auch Marktforschung und wurde in der UNO-Atombehörde (IAEO) aufgenommen. Als ich merkte, daß diese sehr hierarchisch organisiert ist und ich hier meine Ideen wohl nicht ausleben werde können, verließ ich die IAEO wieder. 1998 begann ich in der Erwachsenenbildung zu arbeiten, dann erhielt ich ein Angebot von Honeywell Bull, wo ich in der Abteilung für Human Resources tätig war. Ich bewegte mich immer mehr in Richtung Selbständigkeit und betrieb private Forschung in den Bereichen Kommunikation und Konfliktmanagement. So kam ich auf mein großes Thema der Vergebung, denn ich bemerkte, daß es im Konfliktbereich eine gewisse Grenze gibt. Vergeben hat etwas mit persönlicher Freiheit zu tun und kann nicht erzwungen werden. Es ist wichtig, ein Rückgrat, eine philosophische Basis, eine solide spirituelle Haltung zu haben oder diese anzustreben. Vergebung ist eine Machthandlung, Loslassen ist eine Machthandlung, man steht über den Dingen. Es gibt kaum Vergebungsforschung, doch das ist es, womit ich mich beschäftige. Über einen Zufall kam ich zu einer Anstellung bei der BBG Bundesbeschaffung GmbH: Man suchte einen Einkäufer, aber ich bin Psychologin. Ich ging dennoch hin und war sehr entspannt. Ich bekam den Job, und es war eine sehr interessante Zeit, die mir sehr wichtige Erfahrungen brachte. Dann kam ein Anruf von einer Freundin, ob ich bei der österreichischen Sendung Supernanny mitmachen möchte. Es war keine leichte Entscheidung, weil die deutsche Sendung sehr stark kritisiert wurde. Aber Erziehung ist ein grundsätzliches Thema, und durch das Fernsehen kam die Möglichkeit, eine Auseinandersetzung mit Erziehungsthemen zugänglicher für mehr Menschen in der Gesellschaft zu machen. Mein Ziel und meine Hypothese war, daß durch Sendungen wie die Supernanny die Hemmschwelle, Beratung zu suchen, wenn es zu Problemen in der Familie kommt, in der Bevölkerung sinken würde. Die Universität Wien führte danach eine Studie durch, die meine Vermutungen bestätigte. Hier konnte ich meine Ideen ausleben; alle Übungen meiner Sendungen stammen von mir. Als die Sendung vorbei war, rief mich ein staatliches Organ an, mit dem Angebot, diese Methode im Rahmen eines Pilotprojekts zu implementieren. Das war natürlich etwas Besonderes, denn es ist nicht üblich, daß man von einer Reality-Show in eine Institution geholt wird. Wir befinden uns momentan in der Pilotphase - es würde mich sehr freuen, wenn andere von den Erfahrungen, die ich mit der Supernanny-Methode gemacht habe, auch profitieren. Es handelt sich um eine aufsuchende, intensive, reflexive Art, die Familienberatung bzw. das Elterntraining anzugehen. Neben der Praxis halte ich Seminare und verfasse Seminarkonzepte.