Zum Erfolg von Alfred Stingl
Was bedeutet für Sie persönlich Erfolg?
In einer politischen Funktion ist persönlicher Erfolg relativ - was man selbst als Erfolg wahrnimmt, wird immer nur von einem Teil der Menschen als solcher gesehen. Hier gilt die alte Weisheit, daß man es nie allen recht machen kann. In meinem Leben war mir meine Funktion als Bürgermeister immer die wichtigste, ich wollte nie zum Jobhopper werden, sondern in der Gemeinde tätig sein, weil die Auswirkungen der Arbeit hier am intensivsten bemerkbar sind. Eine Stadt an sich ist ein Faszinosum, da die Menschen mit ihren unterschiedlichen Vorstellungen und Bedürfnissen wahrgenommen werden wollen. Deshalb ist die Funktion des Bürgermeisters eine Form des Erfolges, wobei es darauf ankommt, was man aus dieser macht. Ich betrachte es als Erfolg, viermal zum Bürgermeister gewählt worden zu sein, weil man mir durch diese Wahlen großes Vertrauen entgegenbrachte. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, daß man nicht als Einzelperson, sondern nur in Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen im Gemeinderat und in der Stadtregierung erfolgreich sein kann.
Sehen Sie sich als erfolgreich?
Im Sinne einer vorläufigen Lebensbilanz kann ich feststellen, daß ich ein wunderbares Familienleben führe und über viele Jahre das Vertrauen der Bevölkerung und meiner Kollegen quer durch die Fraktionen genoß, daher sehe ich mich heute - auch im Sinne meiner Definition von Erfolg - als relativ erfolgreich.
Was war ausschlaggebend für Ihren Erfolg?
Ich denke, daß der ausschlaggebende Faktor des Erfolges mein harmonisches Familienleben ist - wäre meine Frau nicht mit meiner Tätigkeit einverstanden, könnte ich in diesem Bereich nicht erfolgreich sein. Ich bin generell der Meinung, daß die entscheidende Frage immer lautet, ob man im Privatleben jemanden hat, der einem den Rücken freihält. Ich bin bereit, ununterbrochen zu lernen und Erfahrungen zu sammeln; jeder Tag ist für mich eine neue Herausforderung, mein Leben gleicht einem permanenten Lernprozeß. Ich bin ein fleißiger Mensch und nehme die Probleme der Menschen sehr ernst. Es gibt in meinem Büro keinen Posteingang, den ich nicht selbst in den Händen halte, weil ich mich für die Anliegen der Bürger interessiere. Ich bin meiner Gesinnung immer treu geblieben und ging immer meinen eigenen Weg.
Ab wann empfanden Sie sich als erfolgreich?
Ich empfand mich an vielen Stationen meines Werdeganges als erfolgreich; beispielsweise mit dem Zeitpunkt meiner Lehrabschlußprüfung, nach meiner Wahl in den Gemeinderat und schließlich nach meiner Wahl zum Bürgermeister - obwohl mir damals die volle Tragweite dieser Tätigkeit noch nicht bewußt war. Der Erfolg in dieser Funktion wurde für mich spürbar, als die Stadt erstmals internationales Profil zeigte, zum Weltkulturerbe, zur Kulturhauptstadt Europas ernannt wurde, etc. Graz hat heute zehn Partnerstädte in Europa, und ich erachte die Internationalität als höchst wichtig für die Zukunft der Stadt.
In welcher Situation haben Sie erfolgreich entschieden?
Mein Amt fordert tägliche Entscheidungen - ich kann keine besonders wichtige Einzelentscheidung hervorheben, weil Erfolg nicht ausschließlich an großen Entscheidungen festzumachen ist, sondern ganz im Gegenteil oft auf zahlreichen kleinen basiert.
Ist Originalität oder Imitation besser, um erfolgreich zu sein?
Ich lehne jegliche Art der Imitation ab und ließ mich in diesem Zusammenhang nie von sogenannten Profis beeinflussen, die mir raten wollten, mich anders zu kleiden, mir eine andere Frisur zuzulegen, etc. Ich bin der tiefsten Überzeugung, daß dieses Herumfeilen am Äußeren eines Menschen gleichzeitig auch eine Identitätsveränderung mit sich bringt, die ich für meine Person für nicht akzeptabel halte.
Gibt es jemanden, der Ihren beruflichen Lebensweg besonders geprägt hat?
In meinem ursprünglich erlernten Beruf des Schriftsetzers hatte ich exzellente Ausbildner und zwei sehr gute Berufsschullehrer. Im Bereich der Politik wurde ich von Bruno Kreisky geprägt, der mich durch seine Welt- und Weitsicht faszinierte.
Wie vereinbaren Sie Beruf und Privatleben?
Hinter meinem beruflichen bzw. politischen Erfolg stecken viele Opfer meiner Frau und meiner Kinder, dessen bin ich mir bewußt; ich bin jedoch seit mittlerweile 42 Jahren glücklich verheiratet.
Welchen Rat möchten Sie an die nächste Generation weitergeben?
Die Entwicklung der Globalisierung ist zwar in den Medien präsent, dadurch aber um nichts leichter verständlich - sie findet ökonomisch und technologisch sowie in politischen Vernetzungen statt, und das ist für mich mehr als ein Schlagwort. Die junge Generation von heute wird sich darüber im klaren sein müssen, daß in großen Unternehmen in Zukunft nur mehr der Rechenstift zählen wird, sie muß sich mit Fragen der Alterssicherung genauso auseinandersetzen wie mit der Frage, was und wieviel die Technik noch alles darf. Die junge Generation wird sich den Fragen mit Problemen der multiethnischen Gesellschaft, den Gebieten persönliche Freiheit, Gewalt und Menschenrechte intensiv widmen müssen. Ich fühle mich nicht dazu berufen, hier allgemeine Ratschläge zu erteilen. Der einzige Rat lautet, das zu tun, wofür sich jeder einzelne befähigt fühlt, und sich selbst treu zu bleiben.
Ihr Lebensmotto?
Optimistisch bleiben.