Zum Erfolg von Heinrich Harrer
Was bedeutet für Sie persönlich Erfolg?
Erfolg bedeutet für mich heute, meine Erfahrungen weitergeben zu können. Er liegt für mich darin, daß meine Bücher gelesen werden, man auf meinen Spuren reist und mir von dort schreibt. Die Tatsache, daß ich für viele Vorbild geworden bin, ist die schönste Belohnung für mich. Ich denke, daß jeder Mensch den Drang verspürt, Erfahrungen zu machen und Neues zu entdecken. Manche mögen sich vielleicht fragen, warum ich zahlreiche Berge bestiegen habe; ich brauche und habe dafür keine Erklärung, weil ich meinem Gefühl folgte. Über die Gründe zu philosophieren liegt mir nicht, das ist Sache der Dichter oder Maler. Es ist wie mit der Religion: wenn ich beten will, brauche ich keine Kirche und keinen Geistlichen, dann mache ich das eben für mich im stillen Kämmerlein und frage mich nicht, warum ich bete, wie ich auch niemanden brauche, der mich dabei beobachtet.
Was war ausschlaggebend für Ihren Erfolg?
„Get up and see the world!“ (Rudyard Kipling). Um die Welt zu sehen, mußte ich aus der dörflichen Umgebung, in der ich geboren wurde und aufwuchs, hinaus. Um mehr zu sehen und zu erleben, mußte ich schließlich Ufer und Kontinente hinter mir lassen. Ich glaube, daß es eine wichtige Voraussetzung ist, Vorbilder zu haben: meines war Thor Heyerdahl. Wesentlich war, Schritt für Schritt, Stufe für Stufe zu gehen und mein Leben organisch aufzubauen. Ich wuchs am Berg auf und sah als Kind Menschen in einem Zirkus, Fremde, die meine Sehnsucht weckten, sie in natura kennenzulernen. Die Basis für mein Leben waren jene, die mich lenkten; Eltern und Lehrer, die Umgebung, in der ich groß wurde. Ich war schon immer sehr fit, weil ich von früh an gewohnt war, lange Märsche ins Dorf in Kauf zu nehmen, um alltägliche Besorgungen zu machen. Wenn mich jemand fragt, warum ich so alt geworden bin und dies vielleicht auf meine vernünftige Lebensweise zurückzuführen versucht ist, möchte ich ihm sagen: Unvernünftiger als ich kann man nicht leben. Ich habe bei 40 Grad plus und 40 Grad minus gelebt. Aber ich habe mir selbst eiserne Disziplin auferlegt. Ich habe jeden Tag minutiös Tagebuch geführt und mir die Ruhe dazu bewahrt. Mein Gedächtnis trainierte ich schon in jungen Jahren, ebenso meinen Körper. Auch Seilschaften waren in meinem Leben von großer Bedeutung: nur so konnte ich mehr sehen, mehr hören und mehr erleben, als ich es als Einzelgänger gekonnt hätte. Ein unvergeßlicher Partner war meine Begleitung bei der Erstdurchsteigung der Eiger-Nordwand, und das bringt mich auf ein weiteres Thema: keiner ist der erste, jeder baut auf der Arbeit auf, die zuvor geleistet werden mußte. Isaac Newton sagte, als man ihm für seine Entdeckungen Lob aussprach, seine Arbeit würde auf den Schultern seiner Vorgänger liegen, und das ist eine sehr wichtige Erkenntnis, ebenso wichtig wie die Demut jenen gegenüber, die einem dabei geholfen haben, etwas über dem Durchschnitt zu werden. Eine prägende Persönlichkeit, wenn nicht sogar die wichtigste, ist meine Gattin, die mich immer unterstützte und meine Expeditionen akzeptierte. Natürlich war auch Ehrgeiz in meinem Leben wichtig, ich habe aber vor allem auch gelernt, bescheiden zu sein. Als Expeditionsleiter lernte ich, meine eigene Angst zu verbergen, um meine Partner nicht zu verunsichern, das selbe gilt für Eingeborene, denen ich zum ersten Mal gegenüber stand, wobei ich mir oft sicher war, als Eindringling zu gelten. Ausschlaggebend war daher Selbstsicherheit, die ich als sicheres Auftreten ohne Zögern definieren will. Eine wesentliche Rolle spielte in meinem Leben immer der Point of no return; ganz egal, ob es sich dabei um das Erreichen der berühmten „Weißen Spinne“ in der Eiger-Nordwand handelt, oder um den Kontakt mit einem augenscheinlich nicht freundlich gesinnten Stamm. In diesen Situationen kommt es darauf an, aufgrund der Erfahrungswerte die richtige Entscheidung zu treffen; also entweder weiter zu gehen, oder so rasch als möglich umzukehren, wobei ich weiß, daß man umso unsicherer wird, je mehr Erfahrung man gesammelt hat – und nicht umgekehrt. Gerade im Alpinismus läuft man Gefahr, sich aufgrund hoher Erfahrung zu überschätzen und lebensgefährliche Fehler zu machen, weil man unvorsichtig wird und die Gefahren unterschätzt. Das selbe gilt für Handwerker, die sich oft erst dann verletzen, wenn sie schon lange den Meistertitel tragen.
Welchen Rat möchten Sie an die nächste Generation weitergeben?
Wenn man ein Talent hat – was nicht jedem gegeben ist! – muß man es pflegen und im wahrsten Sinne des Wortes zu etwas bringen, das ist meiner Meinung nach eine Verpflichtung. Wenn man jene Tätigkeit ergreift, zu der man sich berufen fühlt, wird man glücklich sein. „Have a plan and stick to it“. Es gilt beharrlich zu sein und seine Stärken zu nutzen, dranzubleiben und sich nicht zu verzetteln. Ausbildung ist sicher wichtig, die beste Form besteht allerdings darin, in die Welt hinaus zu gehen und möglichst viel zu sehen. Weltoffenheit und der Drang, seinen Horizont zu erweitern ist nach meinem Dafürhalten unverzichtbar. Ich halte auch nicht sehr viel davon, Jobs zu wechseln wie die Hemden – Manager, die ein halbes Jahr die ÖBB, danach BMW und schließlich eine Bank leiten, sind mir etwas suspekt. Man muß sich an einem gewissen Punkt für eine Sache entscheiden und sich darauf konzentrieren, obwohl es natürlich gut ist, Erfahrungen zu sammeln und möglichst viele Seiten kennenzulernen.
Welche Ziele haben Sie sich gesteckt?
Ich habe keine Ziele, außer noch möglichst viele meiner Erfahrungen weiterzugeben. Mein wichtigster Wunsch ist es heute, weiterhin mit meiner Frau zusammen glücklich zu sein.